Freitag, 17. April 2015

Eine große Familie.

Sie ist zwölf.
Und sie ist schlau.
Und eigentlich fühlt sie sich wie in einer falschen Zeit.
Ja, sie fühlt sich auch erwachsener, 
vor allem aber fühlt sie sich wie aufgewacht im falschen Jahrhundert.
Sie lebt jetzt in einem Jahrhundert, in dem täglich ihre innere Stimme brüllt.
Natürlich brüllt sie nie wirklich, denn dann wäre sie ja nicht besser als die, wegen denen sie brüllt.
Manchmal denkt sie, dass es sinnlos ist, noch zu schweigen.
Manchmal würde sie es aussprechen, auch wenn es dumm klingt, irgendwie banal und kindisch. 
"Habt euch doch einfach mal lieb!"
Ist das denn so schwer?
Denn wenn man darüber nachdenkt, ist das die einzige Wahrheit, 
die einzige Möglichkeit, ihre Familie zu retten.
Sie sind doch viel älter als sie und sie kann sich nicht vorstellen, 
dass sie jemals begreift, warum nicht. Vermutlich wird sie es dennoch, denn jeder wird mal erwachsen.
Aber wenn man sie fragen würde, ob sie das wollen, dass sie sich anschreien.
Ob sie dabei wirklich nie an sie gedacht hatten, wenn man einmal fragen würde, 
wo sie hindenken, wenn sie aufeinander losgehen. 
Sie sind doch ein Vorbild, für ein Kind, wie sie.
Ob man sich nicht einfach hinsetzten und reden könnte, wie vernünftige Kinder.
Dann würden die Großen nämlich auch verstehen, dass sie doch eigentlich das Gleiche wollen. 
Dass sie glücklich sind. Und dass das Geld reicht. Und dass keiner von den Dreien Schäden nimmt.
Sie schaut sich um, im Wohnzimmer, wo die beiden immernoch so laut sind. 
So laut, dass sie sich selber gar nicht mehr hört.
Niemand könnte bei diesem Lärm noch denken. 
Und dann schaut sie neben sich, 
ihre Mutter und ihr Vater sitzen friedlich am Tisch und lesen Zeitung.
Sie sind nicht diese lauten Menschen.
Wer schreit? Das fragt man noch? 
Die Mutti. Und der Bomber.


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Sie ist zwölf
Und das ist viel zu klein. Um ihren Hals hängen drei große Klötze:
Bildung.
Intuition.
Und Empathie.
Das ist eigentlich gut, aber nicht wenn du zwölf bist, wenn sie in deiner Klasse von Wendy auf die Bravo wechseln, oder was die Kinder heute so auf dem Gymnasium lesen.
Wenn du zu schlau redest, dann finden sie dich komisch und wollen nichts mit dir zu tun haben.
Wenn du intuitiv handelst dann verstehen sie dich nicht und haben Angst.
Und wenn du Menschen leiden siehst dann musst du weinen und davor haben sie alle auch Angst, denn Emotionen zu zeigen ist unerwünscht. Das bringen sie den Kindern bei, wenn sie so alt sind.
Und sie ist schlau und intuitiv und hat kaum Freunde.
Sie ist oft einsam und versucht diese Welt zu kopieren, die da um sie herum pulsiert, aber durch kopieren versteht man nicht.
Sie ist oft einsam. In einer Großfamilie hat nie jemand Zeit...
Und das alles mit zwölf, aber ihr könnt euer Mitleid zuhause lassen. Sie ist stark. Stärker als so viele von euch Wichtigtuern. 
Ja sie wird fallen, wieder und wieder, aber sie wird immer wieder aufstehen können.
Denn so eine Großfamilie bietet auch Halt. 
Denn stark werden wir nur, wenn wir begreifen, dass Fallen und Aufstehen notwendig sind 
und, dass Berge nunmal bestiegen werden müssen.
Sie ist zwölf. Und sie weiß das alles vielleicht nicht. Aber sie spürt es.

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